Das Münchhausen-by-proxy-Syndrom (MbpS) gilt als eine besonders schwere Form der Kindesmisshandlung, bei der die Täter (meist ein Elternteil) bei von ihnen abhängigen Menschen (meist dem eigenen Kind) absichtlich Erkrankungen oder Krankheitssymptome zufügen oder solche erfinden. Das MbpS wird in der Forschung insgesamt noch sehr wenig beachtet, auch steht eine Klärung darüber, wie dieses Störungsbild letztlich klassifikatorisch einzuordnen ist, noch aus. Im DSM-5 wird das MbpS als „Vorgetäuschte Störung, anderen zugefügt“ und im ICD-10 als „Artifizielle Störung (Absichtliches Erzeugen oder Vortäuschen von körperlichen oder psychischen Symptomen oder Behinderungen) (F68.1)“ oder als „sonstige Form des Missbrauchs von Personen (T74.8)“ kodifiziert.
Forensisch lässt sich das MbpS als eine besondere Form der Kindesmisshandlung einordnen, die familienrechtlich eine Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (§ 171 StGB) und damit eine Gefährdung des Kindeswohls und strafrechtlich meist eine Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) darstellt.
Auch wenn eine im Vergleich zu anderen forensischen Settings höhere Auftretenswahrscheinlichkeit einer Münchhausen-by-proxy-Konstellation in familiengerichtlichen Verfahren anzunehmen ist, wird sie nicht immer als solche erkannt. Auch hierzulande liegen erst wenige Beschreibungen vor, die auf besondere Fallkonstellationen vor Familiengerichten hinweisen Die bei den betroffenen Müttern fehlende Einsichtsfähigkeit ist auch für die Wirksamkeit öffentlicher Hilfen in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren von großer Bedeutung; möglicherweise ergibt sich fallbezogen die Notwendigkeit der Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft.
Heubrock, D. (2022). Das „Münchhausen-by-proxy“-Syndrom im Sorge- und Umgangsrecht. Neue Zeitschrift für Familienrecht, 9 (13), 579-582.